Ein weites Herz für die Vielfalt des Feiern
Interview mit dem Dekan des Kirchenkreises Marburg Burkhard zur Nieden zum Reformationsjubiläum
Das Reformationsjubiläum geht in die Halbzeit. Wie bewertest Du, was da alles passiert?
Das ist ein größerer Erfolg geworden, als viele gedacht haben. Es gab große Erwartungen, aber auch pessimistische Stimmen. Wir hätten doch eigentlich ganz andere Probleme und Aufgaben, wurde gesagt. Und dann so eine Jubelfeier? Seit etwa einem Jahr merke ich, dass das Thema „Reformation“ immer weiter nach vorne kommt. Das merke ich im Gespräch mit Menschen auf der Straße und im Gespräch mit politisch Verantwortlichen. Und ich sehe es an den Schildern, wenn ich nach Marburg reinfahre (lacht). Das Thema ist plötzlich in aller Munde. Ich finde das großartig! Ich bin aber auch nicht ganz frei von gewissen Irritationen.
Was irritiert dich denn?
Nicht das Erwartbare, z. B. dass ich das geplante Volksfest kritisieren würde. Nein, auf die Bratwurst freue ich mich! Es ist eher so, dass wir selbst ins Stammeln kommen, wenn wir sagen wollen, was Reformation ist. Wir spüren, wie fremd das manchmal ist, wofür Luther gestanden hat. Es ist ein Riesenaufgabe, das für die Gegenwart zu erschließen. Ich fürchte, das ist längst nicht so erfolgreich, wie die ganzen Feste, die wir machen. Die Stadt Marburg wirft sich ins Zeug, wie wir das als Kirche gar nicht könnten. Ich bin den Verantwortlichen sehr dankbar. Seit sie gemerkt haben, dass das Thema im Land und im Bund, ja international, gesehen wird, geht die Stadt mit großem Schwung und Kreativität an die Feiern heran. Toll!
Was will denn die Stadt damit erreichen?
Die Interessen sind legitim. Wir haben ja kein Copyright auf die Reformation. Reformation ist etwas, was vor 500 Jahren passiert ist und was auch damals schon äußerst vielstimmig war. Auf Luther kann sich nicht nur die evangelische Kirche beziehen sondern auch eine deutsche und europäische Kultur. Und natürlich kann sich auch eine vielstimmige ökumenische Tradition auf ihn beziehen. Auch unser Staat, die Länder und Städte haben die Reformationsgeschichte als Teil ihrer eigenen Geschichte.
Gibt es auch Kritikwürdiges?
Manche finden ja den Playmobil-Luther lächerlich. Andere sehen ihn als Kunstobjekt. Ich habe da ein weites Herz. Ich fände es schwierig, wenn Luther so politisch instrumentalisiert würde, wie das früher der Regelfall war. Wenn z. B. die Pegida anstatt mit einem unreflektierten Begriff von Abendland sich mit Martin Luther schmücken würden – das fände ich schwierig. Aber wahrscheinlich wissen die zu wenig von Theologie und Kirche. Dann würde ich sagen: „Dieser Luther gehört euch nicht!“
Wie gesagt, ich habe ein weites Herz. Ich habe aber auch die Erwartung, dass die Gesellschaft es mitträgt, dass wir unsere eigene Sachen als Kirche einbringen. Ich habe so ein bisschen die Sorge, dass das untergeht, weil gegenwärtig die Relevanz von Glaube und Kirche zurückzugehen scheint, und dass wir da eine etwas melancholische Ausstrahlung haben, während alle anderen toben und jubeln. Ich hoffe darauf, dass wir unser Eigenes durchbringen, denn das ist es, was Luther wirklich wichtig war. Das bedeutet, vom Evangelium zu erzählen, vom Juden Jesus Christus mit den Worten des Juden Paulus.
Welche Veranstaltungen findest Du den besonders wichtig und gelungen?
Ich freue mich auf das Stadtfest. Da wollen wir an der Pfarrkirche ausprobieren, was passiert, wenn wir die Themen der Reformation wirklich in die heutige Zeit reinbringen. Wir wollen eine vergangene Zeit lebendig machen. Das soll aber keine Museumspädagogik sein.
Was ist für Dich im Jahr 2017 das Entscheidende an Luther und der Reformation?
Wir feiern in ökumenischer Verbundenheit. Das geschieht hier in Marburg schon längst und ich danke Dechant Franz Langstein für die gemeinsamen Reformationsgottesdienste. Und auch die Landeskirche feiert gemeinsam mit den Bistümern Fulda, Limburg und Paderborn.
Außerdem möchte ich auf die anderen beiden Ereignisse verweisen. Beim Europäischen Stationenweg waren wir federführend beteiligt. Luther und die Wirkungen der Reformation sind ja größer als der deutsche Sprachraum. Wir hatten Gäste aus Europa hier bei uns und das gab ein buntes Bild. Dass der Reformations-Truck an der Elisabehtkirche gehalten hat, davon geht etwas spürbar Ermutigendes aus.
Das andere ist, dass das Land Hessen zusammen mit den Evangelischen Kirchen von Kurhessen-Waldeck und von Hessen-Nassau am 29. Oktober einen Gottesdienst und einen Empfang machen wird. Das geht über das hinaus, dass wir ein großer Anbieter von Bildung, Kultur, am Gesundheitsmarkt oder ein großer Arbeitgeber sind. Das sind wir als Kirche alles! Im politischen Bereich wird gesehen, wie prägend Kirche für das Gemeinwesen ist und wie wichtig das in einer Gesellschaft ist, die sich verändert. Das soll sich auch in diesem Gottesdienst abbilden, der auch im Fernsehen übertragen wird. Es ist beabsichtigt, Vertreter der jüdischen und der islamischen Gemeinde um ein Grußwort zu bitten. Das wird ein religiös vielstimmiger Gottesdienst werden, in dem wir zeigen, dass wir mit Lust und Freude auf diesen Weg gehen.
Vielen Dank für das Gespräch
Die Fragen stellte Karl-Günter Balzer.