Viele Erwartungen, lange Arbeitszeit, wenig Wertschätzung
Das Pfarramt hat sich verändert und das macht Stress
Von Karl-Günter Balzer
Korbach. „Woran liegt es, dass wir ins Schwitzen kommen?“ Helmut Wöllenstein, Propst des Sprengels Waldeck und Marburg, fragte, woran das liegt: „Liegt es an ihnen selbst? Oder an den Kirchengemeinden? Oder an der Säkularisierung? Oder an der Kirchenleitung und den Strukturen der Kirche?“ Fast hundert Pfarrerinnen und Pfarrer aus den Gemeinden zwischen Fronhausen im Süden und Bad Arolsen im Norden des Sprengels waren am Mittwoch nach Korbach gekommen, um sich mit dem Stress in ihrem Beruf zu beschäftigen. Als fachkundiger Redner war Prof. Dr. Eberhard Hauschildt, praktischer Theologe an der Universität Bonn, eingeladen.
Es hat sich ja viel verändert im Leben von Pfarrerinnen und Pfarrern. Die Familie ist längst eine ganz normale Familie geworden. Im Pfarrhaus gibt es meist mehrere Berufe, die Kinder sind nicht automatisch fromm. Trotzdem gibt es Erwartungen von Seiten der Gemeinde: Wenigstens im Pfarrhaus soll die Ehe beispielhaft und die Familie vorzeigbar sein. Kirche und Gemeindehaus sollen gut gefüllt werden. Der Pfarrer ist immer im Dienst, auch wenn alle frei haben. Er soll ein offenes Ohr haben und im Gespräch sein. Dabei sind die Menschen, auf die er trifft, in sehr unterschiedlichem Kontakt zur Kirche: manche sind ganz nah, manche in einem distanzierten Abstand, manche auf dem Sprung und andere in atheistischer Fragehaltung, wieder andere gehören einer anderen Religion an. Das alles wird manchmal zu viel, sei es weil der Pfarrer selbst perfekt sein möchte und sich überfordert, sei es durch zu hohe Erwartungen von Gemeinde oder Kirchenleitung.
„Sonntags möchte ich Lehrer sein und in der Woche Pfarrer“ – ein oft gehörter Satz, der von einer deftigen Unkenntnis der tatsächlichen Zeitanforderung in beiden Berufen zeugt. Wie sieht es aber nun konkret im Pfarrhaus mit der Arbeitszeit aus? Hauschildt rechnete die durchschnittliche wöchentlich Stundenzahl vor, die die rheinische Landeskirche (EKiR) jüngst erhoben hatte: Neun Stunden für die Vorbereitung und das Halten des Sonntagsgottesdienstes, zwei mal sieben Stunden für Gespräche und Vorbereitung von Kasualgottesdiensten, fünf Stunden für Sondergottesdienste, fünf Stunden für theologische Weiterbildung, fünf Stunden für die Verwaltung. Das sind zusammen 38 Stunden. Und dann kommen noch Konfirmandenunterricht, Religionsunterricht, Notfallseelsorge, Seelsorge in der Gemeinde, Gruppen, Veranstaltungen, Besuche, Sitzungen und übergemeindliche Aufgaben dazu. Danach wurde in der EKiR eine durchschnittliche Arbeitszeit von 54 Stunden wöchentlich für zumutbar gehalten. Eine Untersuchung von 2010 hatte ergeben, dass Pfarrerinnen und Pfarrer über 60 Stunden in der Woche arbeiten. Da können sie schon mal ins Schwitzen kommen, sei es im Rheinland oder in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW).
Hauschildt kritisierte, dass es in der EkKKW keine solchen Berechnungen zur Arbeitszeit gibt und es alleine in die Verantwortung von Pfarrerinnen und Pfarrern gestellt sei, ihre Arbeitszeit zu regeln. Hauschildt hielt es für angemessen, dass eine Pflichtzeit von 40 Stunden vorausgesetzt wird, in die alles hineinpassen muss, was zur herkömmlichen Versorgung gehört. Für eine weitere ca. fünf- bis zehn-stündige Zeit handeln nach seiner Vorstellung Kirchenvorstand und Pfarrer aus, was aus Interessen des Pfarrers und Profil der Gemeinde als Kür getan werden sollte.
„Schmeiß den Computer aus dem Fenster“, „Tu dies! – Tu das! - Lass das!“ – in solchen Sätzen fassten die Arbeitsgruppen ihre intensiven Gespräche über Eberhard Hauschildts Thesen zusammen. Was sie sich wünschten war klar: mehr Verständnis und Rücksichtnahme von Kirchenleitung, Kirchenvorständen und Öffentlichkeit. Und mehr Wertschätzung. Denn es ist ein schöner Beruf. Auch wenn es manchmal heiß hergeht. (16.06.16)
Propst Helmut Wöllenstein und Prof. Dr. Eberhard Hauschildt (Fotos: Karl-Günter Balzer)